René, 37, Löbau: „Ich habe die Zeichen nicht sehen wollen“

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Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.

Heute kann heute wieder alles machen, was ich will. Geheilt? Das ist ein großes Wort. Symptomfrei, würde ich sagen, trifft es auf jedem Fall. Theoretisch kann ja alles jederzeit wiederkommen.

Das Thema betrifft viele Männer

Am Anfang waren es nur Verspannungen. Basierend auf Dauerstress und ständiger Anspannung. Wo du zu dir selbst sagst: „Komm, das wird schon wieder.“ Und einfach weitermachst. Dann kam Schwindel dazu. Erst immer mal, dann immer öfter. Das führte zu Angstzuständen und Panikattacken, bis ich schließlich länger in die Klinik musste.

In den zwei Monaten während meines Klinikaufenthalts habe ich gelernt: Das Thema betrifft viel mehr Männer, als ich erwartet hätte. Darüber wird kaum oder gar nicht gesprochen. Oder wenn, dann viel zu spät. Ich halte es für sehr wichtig, dass mehr darüber gesprochen wird.

“Komm, das wird schon wieder”

Meine Geschichte fing ganz harmlos an: Ich war gut eingespannt. Familie, also Freundin und Tochter, Job, Ehrenamt. Mein Nacken hat irgendwann gezickt. Also bin ich zur Physiotherapie, habe mich regelmäßig durchkneten lassen. Das wurde aber nicht besser.

Es gab auch noch mehr Zeichen, dass irgendwas nicht stimmt, die ich aber nicht sehen wollte: Im Urlaub bin ich immer krank geworden. Gleiches bei der Arbeit: Immer, wenn es besonders stressig wurde, fiel ich ein paar Tage aus. Du konntest schon fast den Kalender danach stellen.

Irgendwann kamen Schwindelgefühle dazu. Besonders in stressigen Situationen habe ich gedacht: Oh Gott, ich kipp gleich um. Als das mehr wurde, kam die Angst. Panikattacken, Zittern, nicht mehr richtig denken können.

Von Arzt zu Arzt gerannt

Wegen des Schwindels bin ich von Arzt zu Arzt gerannt. Ich habe alle möglichen Tests gemacht, was es so gibt. Keiner konnte mir sagen, was ist. Ich habe mich immer mehr darauf versteift, was ich wohl haben könnte. Ich wollte diese eine Pille, diese eine Spritze, die alles gut macht. Die gab es aber nicht.

Meine Diagnose heißt Angststörung, dazu eine Agoraphobie, also Platzangst oder auch Angst davor, unter Menschen und an unbekannte Orte zu gehen. Wenn du mit sowas zu Hause sitzt, ohne es zu wissen, kommt ganz schnell noch eine Depression dazu.

Du bist in so eine Spirale, wo du Angst hast, eine schwere Krankheit zu haben. Weil niemand etwas findet. Das verstärkt aber die Symptome nur…

 

Es wurde immer schlimmer

Da wurde der Schwindel noch schlimmer. Ich bin immer seltener raus gegangen, habe mich abgeschottet, habe das Ehrenamt und den Sport aufgehört. Vorher war ich drei bis viermal die Woche aktiv: Laufen, Tischtennis… Das Einzige, was half, war schlafen!

Nächste Stufe: Beim Einkaufen bekommst du einen Schweißausbruch, rennst schnell aus dem Supermarkt. Später sprintest du in fünf Minuten durch… Mit der Zeit sind alle meine Tätigkeiten in der Außenwelt verschwunden. Ich bin nur noch gependelt zwischen Arbeit und Bett. Als die Symptome auch bei der Arbeit anfingen, war’s vorbei. Es gab keinen geschützten Lebensbereich mehr, ohne dass ich Panik bekomme – außer zu Hause, in meinem Bett.

Das hat sich immer weiter hochgeschaukelt – man kann sich das so wellenartig vorstellen. Am Anfang alle zwei Wochen einen Schwindelanfall und Panikattacken – zwei oder drei Tage vor Einweisung war das aber der Dauerzustand! Da bin ich morgens mit Zittern aufgestanden, bis ich abends zitternd ins Bett gefallen bin.

Darüber sprechen hilft

Bei der Therapie hat schon geholfen, in einer anderen Umgebung zu sein. Lauter Ärzte, Schwestern und Therapeuten, die dir helfen wollen. Das tat schon mal gut.

Erstmal haben die mich ruhig gestellt. Dass ich mal wieder runterkomme. Sehr geholfen hat mir auch, darüber zu reden. Und alles aufzuschreiben, alles rauszulassen. Das ist für die meisten am schwierigsten, gerade Männer: Dass man darüber spricht, wie man gerade denkt, was man fühlt, wie es einem geht!

Das ist in so einer Klinik auch anders, wenn du dort darüber sprichst: Wenn du mit deiner Partnerin oder so über solche Themen redest, beschönigst du oft. Jemand, der noch nie eine Panikattacke hatte, kann das eigentlich nicht verstehen, wie das ist. Betroffene gehen da ganz anders mit um, haben Verständnis.

Angst ist nichts Schlechtes

In der Klinik hat mir endlich ein Therapeut erklärt, was ich habe. Warum mein Körper so reagiert. Und dass Angst nichts Schlechtes ist. Als es mir besser ging, haben wir unter anderem eine Art Konfrontationstherapie gemacht. „Du hast Angst davor, rauszugehen? Los, wir gehen raus!“ Bis zum: „Heute gehst du mal allein.“

Beim ersten Mal war es noch schwer. Aber je öfter ich durch eine Situation gehen musste, um so schwächer wurden die Symptome. Alle Dinge, die ich vorher abgelegt hatte, Sport, soziale Kontakte, habe ich wieder angefangen.

Das alles hat natürlich auch meine Beziehung verändert. Ich bin meiner Partnerin unendlich dankbar für ihre Geduld. Ein: „Wie geht es dir“ ist jetzt nicht mehr so dahingesagt! Heute sprechen meine Freundin und ich ganz anders darüber, wie es uns gerade geht. Ich mache jetzt auch viel Meditationen und Yoga.

Männer gehen oft zu spät zur Therapie

Was ich im Vorfeld hätte anders machen können? Ich hätte eher auf mein Innenleben schauen dürfen. Auf die ganzen geistigen Zusammenhänge, anstatt nach körperlichen Ursachen zu suchen. Männer gehen ja meist relativ spät zum Arzt, weil: „Ist ja nix schlimmes!“ Noch später gehen sie zum Therapeuten.

Es gibt noch Hunderte andere Sachen, die ich empfehlen könnte: Tagebuchschreiben, Therapie machen, acht Stunden schlafen die Nacht, nicht jeden Abend ein bis drei Bier trinken, um runterzukommen… Also einfach mal auf sich selbst zu hören, wie geht es mir? Und was kann ich machen, damit es mir besser geht? Und das dann einfach tun!

Das Allerwichtigste aber: Mit jemandem darüber zu reden, wenn es gerade scheiße ist!

Was mein 18-jähriges Ich heute über mich sagen würde? So, wie ich jetzt hier sitze? Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm wird, so zeitig – aber es ist gut, dass ich es überstanden habe und es mir jetzt wieder besser geht!

Protokoll: Peter Stawowy, Foto: Paul Glaser

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