Ingo, 51, Hannover: „Jetzt weiß ich, wofür das alles gut war!“

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp

Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.

Einer der ersten Sprüche, die ich damals an der Uni gesagt bekommen habe, war: „Kaufen sie sich jetzt einen Strick, noch können sie sich einen leisten.“ Das war 1995.

Es war also von Anfang an klar: Bei meinem Studienfach Geografie könnte das schwierig werden mit der Karriere.

Ich habe mein ganzes Studium parallel in der Musikbranche gejobbt. Ich galt als ziemlich unmusikalisch. Aber alle meine Freunde waren Musiker und hatten auch eine Band. Zuerst habe ich Lichttechnik und Merchandise übernommen. Später ganze Touren organisiert, zum Beispiel für die Mittelalterband Merlons. Mit denen war ich lange auf Tour. Ein Prof. von mir meinte mal: „Ingo, sie sind eine totale geographische Pfeife – aber im Organisieren sind sie gut!“

Mit J.B.O. als Manager auf Tour

Mit 26 habe ich das Studium sogar für eine Zeit unterbrochen, einfach weil ich im Musik-Business so viel zu tun hatte. Damals ist mir eine Leitungsposition in einer Booking-Agentur in München angeboten worden. In der Zeit habe ich so Bands wie Subway to Sally und Acts wie Erkan und Stefan oder Hubert von Goisern gebucht.

Den festen Job habe ich aber abgesagt und bin wieder nach Erlangen zurück – um das Studium doch noch zu beenden. Das war so 2001. Viele Freunde und Bekannte haben das nicht verstanden: Warum hast du das abgesagt? Warum bist du wieder nach Erlangen zurück?

Kaum zurück, hat mich J.B.O. gefragt, ob ich nicht ihr Tourmanagement übernehmen will: Studium unter der Woche, das andere am Wochenende. Das war noch mal eine andere Herausforderung, weil alles viel größer war.

Studium mit 30 doch noch abgeschlossen

Mit 30 hatte ich mein Studium endlich fertig. Ich bekam das Angebot, in Bad Aibling beim Stadtjubiläum im Orga-Team mitzuarbeiten. Die wollten auch, dass ich bleibe. Aber mich zog es wieder nach Erlangen.

J.B.O. kam auf die Idee, aus dem Tourmanager einen richtigen Manager zu machen… Fanta Vier hatten das mit Four Artists schon vorgemacht: Alle Aufgaben wie Booking, Verlag für Merch und so weiter zusammenzulegen. Um es einfacher zu haben, aber auch, um mehr Geld zu verdienen. Plötzlich war ich Manager und geschäftsführender Gesellschafter.

Auf einem J.B.O.-Konzert in Paderborn habe ich meine spätere Frau und Mutter meiner Kinder kennengelernt. Daran denke ich gern zurück. Das war so ein Campus-Fest, die Fachschaft hatte das organisiert. Ich war gerade dabei, den Veranstalter ordentlich rund zu machen, weil einiges nicht gut lief – da stand sie plötzlich vor mir. Ich habe sie zum Wein an die Bühne eingeladen, aber sie kam nicht. Später habe ich mir ihre Nummer besorgt.

Sie hatte ein Erasmus-Jahr in Spanien vor sich. Vorher hatten wir noch ein sehr schönes Wochenende in Erlangen. Ich habe sie gleich mal zu Sportfreunde Stiller geschleppt. Sie war ordentlich beeindruckt, alle von der Security kannten mich. Das war 2004.

Mit den Kindern veränderte sich alles

2009 kam unser erster Sohn zur Welt. Da fingen so die Gedanken der materiellen Sicherheit an. Aber eine Festanstellung mit meinem Lebenslauf? Ich hatte ja – im klassischen Sinne – nichts richtig gearbeitet!

Irgendwann habe ich eine Stelle in einem Verlag bekommen. Das gab auch gutes Geld, der Job war aber in Braunschweig. Also habe ich komplett alle beruflichen Zelte in Erlangen abgebrochen.

Zwei Jahre später kam unser zweites Kind zur Welt, eine Tochter. Da war das Thema „Finanzielle Sicherheit und Stabilität“ noch wichtiger. Das war wohl auch der Grund, warum ich in dem Verlags-Job so viel mitgemacht habe. Nach zwei Jahren habe ich das erste Mal den Businessplan gesehen und mich wirklich sehr über die Zahlen gewundert. Völlig unrealistisch. Gewinnbringend war das Projekt wohl nie.

Als unser drittes Kind zur Welt kam, habe ich zwei Monate Elternzeit genommen – ich war der erste in der Firma! Da kamen Kollegen zu mir und gratulierten mir für meinen Mut. 2016 hieß es: „Wir räumen auf“ – und ich war gefeuert. Ab dem 1. Januar 2017 war ich dann arbeitslos.

“Gehen sie mal laufen, das hilft”

Ich musste bis zum letzten Tag nach Braunschweig fahren. Der ganze Druck mit Job und Geld und Familie führte bei mir zu starken körperlichen Symptomen. Einmal habe ich auf dem Weg zur Arbeit totale Kopfschmerzen bekommen, bin angehalten und ausgestiegen und musste mich übergeben… Mein Chef meinte dazu nur: “Gehen sie mal laufen, das hilft.”

In der Arbeitslosigkeit habe ich erstmal jede Menge Dinge getan, die ich längst hatte tun wollen. Die Kiste mit Schrauben sortiert und aufgeräumt und so. Ich habe mich so zerfleddert gefühlt. So bin ich auch zu den Vorstellungsgesprächen gegangen…

Das alles hat massiv auf unsere Beziehung gewirkt. Schließlich haben wir uns getrennt. Vier Jahre lang haben wir das Nestmodell gelebt – aber das ist eine Geschichte für sich.

Traumjob nur mit Abschluss

Nach mehreren Versuchen und Gesprächen kam schließlich mein heutiger Job um die Ecke: In der Ausschreibung ging es um Großveranstaltungen, GEMA, Organisation… und ich dachte nur: „Ey, das bin ja ich!“

Nach zwei Wochen im neuen Job hatte ich das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Sechs Jahre ist das jetzt her. Und da wusste ich: Jetzt macht alles Sinn! Die harte Zeit im Verlag – dass war, damit das Ankommen in der Verwaltung nicht so schwerfällt. Das Wichtigste aber: Für so eine Stelle in der Verwaltung brauchst du ein abgeschlossenes Studium!

Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich das damals fertig gemacht habe.

Protokoll: Peter Stawowy

 

"

Eine Antwort

  1. Toller Mann. Bewegende Geschichte. Sind wir immer noch so besessen von Scheinen und Titeln oder haben wir uns weiterentwickelt zu Werten, Haltung und Inhalten, wenn es um Recruiting geht? Danke für das Mitteilen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr lesen

×