Jan zählt zu den Männern, die ihren Job gewechselt haben. "Will ich das bis zum Lebensende machen?", war die Frage, die er sich immer wieder gestellt hat.

Jan, 51, Gotha: „Herr Köhler, darf ich dich umarmen?“

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Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.

Im Januar 2021 habe ich bei meinem alten Vertragspartner aufgehört, nach fast 26 Jahren. Ich habe damals für eine Bausparkasse gearbeitet, die in Kooperation mit einer Genossenschaftsbank das volle Bank-Programm anbietet.

Ich hatte nach dem Job-Ende ein halbes Jahr für mich. Die Zeit habe ich genutzt, mich neu zu orientieren.

Im August 2021 habe ich dann meine neue Stelle in der Kinder- und Jugendhilfe angetreten. Das ist wirklich etwas ganz anderes. Und so viel erfüllender!

Wirklich bis zum Lebensende?

Es ist ja kein Geheimnis, dass sich das Bankgeschäft die letzten zehn bis 15 Jahre massiv verändert hat. Ich habe mich damals immer öfter gefragt: Willst du das bis zum Lebensende machen? Es war schon durchaus auch erfüllend.

Aber es sind so viele kleine Dinge passiert, die immer weniger zu meinem Moralkompass passten.

Ein Beispiel? Auf einmal saß da eine vermeintlich junge Führungskraft vor mir und meinte, sie müsse mir erklären, wie man arbeitet. Einem Mitarbeiter, der 25 Jahre erfolgreich seinen Job gemacht hat. Aber Führen, das wird heute oft vergessen, heißt: „Geben und nehmen“. Und nicht: „Nehmen und gehen“!

Das gab ungläubiges Kopfschütteln, als ich dann gesagt habe, ich will nicht mehr.

Keine leichte Entscheidung

Was noch dazu kam: Ich habe körperlich gemerkt, auf welchem Stresslevel ich unterwegs war. Stress ist ja oft auch Auslöser für so organische Probleme – das waren für mich Alarmsignale.

Früher habe ich negative Erfahrungen grundsätzlich als persönlichen Angriff gewertet. Inzwischen ist das anders. Das ist für mich fast schon ein Leitspruch geworden: „Das Positive im Negativen suchen!“

Weil: Es verbirgt sich hinter so negativen Dingen immer eine Botschaft.

Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Das zog sich so über Wochen und Monate hin. Dann war ich aber konsequent. Jobangebote aus dem Bereich, da gab es einige, habe ich alle pauschal abgelehnt.

Sechs Wochen bis zum Ruhepuls

Ich hatte mit sehr spitzem Bleistift gerechnet, dass ich mir ein halbes Jahr Auszeit nehmen konnte. In der Zeit habe ich den Körper total reseted. Das war erschreckend und anstrengend, wenn du plötzlich von Mails und Anrufen so abgeschnitten bist.

Ich habe bestimmt sechs Wochen gebraucht, um wieder einen Ruhepuls zu bekommen.

Da ist mir erstmal aufgefallen, wie krank das alles ist. Und wie kaputt teilweise meine Umgebung ist, die das immer weiter macht.

Schweißausbrüche bei geringen Anstrengungen

Was mir auch geholfen hat: Ich laufe. Schon seit 10 Jahren. Ich war früher immer nur „Drehstuhlpilot“, wie wir das genannt haben. Vom Schreibtisch zum Essen, wieder zum Essen und nochmal zum Essen. 2011 habe ich beschlossen, das geht so nicht mehr.

Vorher hatte ich Atemlosigkeit und Schweißausbrüche bei geringfügigen Anstrengungen.

Jan beim Laufen
Jan geht mindestens vier mal die Woche laufen.

Um alles unter einen Hut zu bekommen, mit der Arbeit und so, habe ich gedacht: Gut, dann laufe ich halt in der Früh, vor dem Frühstück. Damit das wirklich alles passt, starte ich immer um 4 Uhr.

Am Anfang haben mich alle komisch angeguckt, aber inzwischen hat sich hier eine richtige kleine Lauf-Community gebildet.

Wir lachen immer, wenn uns jemand langfristig zusagt, über die Begründungen, warum er oder sie dann doch nicht dabei ist.

Im Schnitt bin ich viermal die Woche draußen, auch bei Wind und Wetter.

Völlig neue Arbeit

Der Job in der Kinder und Jugendhilfe ist ganz anders als die Arbeit früher. Wir haben 60 Kinder hier, die in Wohngruppen bei uns leben, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden.

Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll… wie man sich da manchmal fühlt. Ich bin in der Verwaltung, berichte an die Geschäftsleitung.

Ein Bereich ist, auf den Kanälen Instagram und Facebook Inhalte zu bringen – Bild- und Videomaterial. Unser Ziel ist, die ganze Kinder- und Jugendarbeit sichtbarer zu machen, vor allem für potentielle Bewerberinnen und Bewerber.

Und dass die Kinder und Jugendhilfe sehr erfüllend sein kann.

Die Kinder werden oft stigmatisiert

Dazu kommt noch Organisatorisches und Netzwerkarbeit. Wir bereiten zum Beispiel gerade unser zweites Kinderfest für kommendes Jahr vor. Gotha ist da ein toller Ort dafür, wir haben dann wieder eine Blaulichtmeile und es kommen viele Vereine, Firmen und Institutionen.

Für unsere Kinder aus den Wohngruppen ist das eine richtig tolle Sache. Die werden ja oft stigmatisiert, „Ach, du wohnst im Heim…“

Bei dem Kinderfest ist das ganz anders, da können die einfach nur Kinder sein. Das ist wirklich schön, das mitzuerleben.

Ich bin auch oft in den Wohngruppen, um etwa organisatorische Dinge zu besprechen. Die Kinder kennen mich gewöhnlich schon. Sie kommen dann, sprechen dich ganz höflich an und fragen: „Herr Köhler, darf ich dich umarmen?“

Am Anfang fand ich das schon befremdlich. Die Erzieherinnen und Erzieher haben mir das dann erklärt: Die Kinder brauchen Liebe. Und weil die Eltern nicht da sind, müssen wir ihnen das halt geben.

Man kann selbst entscheiden, ob man das will oder nicht. Wenn nicht, ist das für die Kinder auch in Ordnung.

Die positive Ablenkung von deren Schicksal

Wir haben hier der Region so eine Stofftierfabrik, die stellen unser Maskottchen her. Da habe ich dann mal gesagt: Ich bringe mal ein paar Kinder mit. Die durften dann auch richtig mitmachen, Stofftiere ausstopfen und so.

Und da siehst du dann die positive Ablenkung von deren Schicksal. Diese gelöste Stimmung, dieses Lachen – ich kann das gar nicht beschreiben, wie sich das anfühlt.

Oder du gehst mit den Kindern zum Konzert, weil es gesponserte Karten gab. Und die Kinder werden begrüßt, die Augen leuchten…

Ich sage immer: „Freude verschenken ist Freude verdoppeln.“

Emotionale Momente

Früher habe ich bei Geschenken immer unterschwellige Erwartungshaltung gehabt. Jetzt ist es schon eine Weile so, dass ich mich bemühe, keine Erwartungshaltung mehr zu haben – und immer reicher beschenkt werde.

Ja klar, in meinem Job ist nicht alles Sonnenschein, es gibt auch viele Herausforderungen. In der Kinder- und Jugendhilfe muss ja sehr viel Adhoc entschieden werden. Du musst oft und schnell reagieren.

Und nach fast anderthalb Jahren ist meine Anerkennung für die Arbeit aller meiner Kollegen noch viel größer als vorher.

Dieses Erleben der Kinder, diese schönen Momente, das geht so ganz tief rein. Das Gefühl lässt sich einfach nicht in Worte fassen.

Protokoll: Peter Stawowy

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