Marcus, 49, Nürnberg: „Ich mache jetzt das krasse Gegenteil.“

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Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.

Ich mache gerade eine Umschulung zum Lokführer. Davor habe ich mich immer größtenteils in dem Bereich Druck, Print und Medien bewegt.

Die Ausbildung ging vergangenes Jahr los und sollte Ende April 2023 fertig sein.

Manche kaufen sich einen Sportwagen…

Ich mache jetzt das krasse Gegenteil zu meinem Beruf vorher. Ein kompletter Wechsel. Ich hätte selbst nicht erwartet, dass ich das mal tue.

Davor war ich beruflich immer in dem Bereich tätig, in dem ich auch gelernt habe. Druckvorlagenhersteller hieß das damals, heute würde man sagen: Mediengestalter.

Ich war zwischendurch auch mal bei einer reinen Marketingagentur und einer reinen e-Commerce-Agentur. Aber im Grunde bin ich bis zu diesem Wechsel meiner Branche immer treu geblieben.

„Es kamen Spannungen in der Firma auf“

Wie das gekommen ist? Ich war die letzten fünf Jahre in einer kleinen Medien- und Druckagentur. Die waren sehr bodenständig, im Katalog-Geschäft unterwegs. Corona hatte der Firma nicht unbedingt geschadet, aber das Team hat sich stark verkleinert. Es kamen dann Spannungen in der Firma auf.

Mir machte das dann irgendwann keinen Spaß mehr.

Ich habe dort gut verdient. Da trägt man schon einiges, man hat ja einen hohen Leidensdruck. Ich auch.

Den ganzen Beruf in Frage gestellt

Aber irgendwann war der Punkt, da habe ich gemerkt, ich muss was ändern. Ich muss über meinen Schatten springen, doch was Neues suchen.

Mein Gedanke damals war dann: Wenn ich jetzt wieder die Firma wechsle, muss ich mit vielen jungen Leuten konkurrieren. Der Job ist sehr beliebt. Und Erfahrungen sind ja schön und gut.

Aber der Job ist kein Hexenwerk, das Handling und Bearbeiten von Medien kann man schnell lernen.

Da habe ich dann überlegt: Möchte ich das? Ich kam dann dahin, dass ich den ganzen Beruf in Frage gestellt habe.

Neuer Job, dann Kündigung

Man kann das schon so sehen, dass ich nah am Burn-out vorbei geschrammt bin. Dieser Medienbereich ist ein super Nährboden für Burn-out – hektisch, termingesteuert, man muss immer das Beste herausholen. 

Ich hatte dann so eine Findungsphase. Den alten Job habe ich erst gekündigt, als ich den neuen Vertrag hatte. 

Im alten Büro war zu der Zeit die Home-Office-Zeit, das bedeutet, ich hatte mehr Freizeit, keinen Arbeitsweg mehr.

Ich hatte vorher keinen Bezug

Die Idee Lokführer kam mir beim Spazierengehen mit dem Hund: Da bin ich immer an den Bahnschienen lang und dachte irgendwann: Warum nicht sowas in der Art?

Erst dachte ich daran, S-Bahn-Fahrer zu werden. Da hat sich dann aber schnell rausgestellt, dass Güterverkehr besser zu mir passt – da habe ich weniger mit Menschen zu tun.

Im Güterverkehr ist es auch ruhiger. Auch wenn der Job fordernd ist – man hat nicht ganz diesen Terminstress, von Bahnhof zu Bahnhof und immer pünktlich sein. Das gibt es bei uns nicht.

„Die Idee Lokführer kam mir beim Spazierengehen mit dem Hund“

Wir fahren los und halten beim Zielbahnhof an – da kommt es nicht immer auf die Minute an, der Personenverkehr geht ja vor, da muss man flexibel sein.

Ich hatte vorher keinen Bezug zu meiner jetzigen Branche, überhaupt nicht. Und ich bin ohnehin eher so der Sicherheitstyp, das war kein leichter Schritt für mich.

Ich bin eher so der Sicherheitstyp

Bevor ich mich beworben habe, habe ich mich ein Jahr in das Thema eingearbeitet. Ich habe mir Bücher gekauft und gelesen und vorgefühlt, ob das wirklich was für mich ist.

Und erst als ich das Gefühl hatte, ich habe verstanden, wie der Job und diese Branche funktioniert, konnte ich den nächsten Schritt gehen.

Meine Frau hat mich dabei sehr unterstützt. Sie arbeitet hier bei einer großen Versicherung in Nürnberg im Bereich Chance-Management. Das heißt, sie kümmert sich um Veränderungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Arbeitsplatz.

Mit Unterstützung der Frau

Da war ich für sie ein „gefundenes Fressen“, als ich sagte, ich will was Neues machen. Auch ihre ganze Kolleginnen fiebern mit meiner Veränderung mit!

Letztens habe ich eine Reihe alter Kollegen getroffen. Ich war auf einer Schulung in München und saß nach dem Feierabend ganz typisch im Café, bei Sonnenschein. Die Kollegen kamen von einem Kundentermin. Die hatten das schon mitbekommen, ich hatte meinen Berufswechsel vorher auf Xing gepostet.

Die haben das alle innerlich gefeiert, dass ich den Absprung geschafft habe. Die fanden das richtig gut. Aber ich sage mal so: Das ist wie Auswandern. Alle finden das gut, aber keiner macht’s selbst.

Erstmal wieder lernen müssen

Das ist definitiv eine sehr wertige, aber auch fordernde Ausbildung, die ich da mache. In meiner Klasse sind die meisten halb so alt wie ich. Es gibt noch einen älteren Kollegen.

Ich habe erstmal wieder lernen müssen zu lernen. Das hatte ich ja ein paar Jahre nicht: Inhalte studieren, büffeln, Dinge auswendig lernen.

Mit Freude auf Arbeit

Der Beruf macht mir großen Spaß! Ich hatte das lange nicht, dass ich morgens grinsend zur Arbeit gehe, weil ich weiß: Heute darf ich Lok fahren. Und abends immer noch grinsend nach Hause komme…

Neulich hatte ich einen Zug, der war 3.700 Tonnen schwer. Vielleicht ist das auch etwas Midlife-Crisis, aber es macht mir riesigen Spaß mit den Maschinen zu arbeiten.

“Ich hab so bis zu 8000 PS”

Manche kaufen sich einen Sportwagen mit 500 PS, ich hab so bis zu 8000 PS.

Trotz dieser Kraft laufen die Elektro-Loks viel ruhiger, als man sich vorstellen mag. Aber es ist noch jedes Mal beeindruckend, wenn diese ganze Masse in Bewegung kommt. Oder wenn du sie abbremsen musst!

„Ich kann nur jedem raten, sich nicht zu lange in einem Job zu quälen, der keinen Spaß macht“

Ich kann nur jedem raten, sich nicht zu lange in einem Job zu quälen, der keinen Spaß macht. Dann sollte man wirklich irgendwann die Reißleine ziehen.

Ich kann das auch sehr gut verstehen, wenn Leute sagen: Ich habe einen Beruf, da verdiene ich gutes Geld, da bleibe ich. Das klappt sicher lange, aber das kann auch schnell nach hinten losgehen. Burnout, Depressionen…

Ich kenne auch Leute, die komplett in die Depression abgedriftet sind und es auch nicht mehr geschafft haben, da überhaupt wieder rauszukommen. Da ist es dann zu spät.

Neue Ziele, die man verfolgen kann

So ein Jobwechsel ist auch sehr gesund für einen selbst. Weil man neue Ziele hat, die man verfolgen kann. Gerade, wenn man vorher vielleicht auch nah an einem Boreout war, also nichts Neues mehr dazu kam.

Ich würde anderen Leuten jeden Schritt, den ich gemacht habe, empfehlen – wenn sie der Typ dafür sind.

Für mich hat es sehr sehr gut funktioniert und ich bin sehr glücklich damit.

Protokoll: Peter Stawowy

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