Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Serie protokollieren wir Momentaufnahmen.
Ich hätte nie gedacht, dass ich noch mal komplett die Branche wechsle – schon gar nicht, dass ich wieder zurück ins Handwerk gehe. Ich habe ja Elektriker gelernt und auch in dem Beruf gearbeitet, später Sozialpädagogik studiert und dann 16 Jahre als Berater gearbeitet.
In die Herzensbäckerei
Jetzt stehe ich morgens in der Backstube unserer Herzensbäckerei und nachmittags im Laden und freue mich über die Entscheidung, in den neu gegründeten Betrieb meiner Frau Anja eingestiegen zu sein. Das war 2020.
Früher hätte ich gedacht, so kannste das nicht machen! Aber ey, doch, das geht!
Meine Frau Anja hat vor vier Jahren ihren Job gekündigt. Sie war Filialleiterin bei einer Bekleidungskette und meinte, sie kann das nicht mehr. Sie wollte einfach nicht mehr T-Shirts für 1,50 Euro verkaufen und privat aber nachhaltig und ökologisch leben.
“Da haben wir gesagt: ‘Moment einmal, das ist eine Wohnküche'”
Sie hat dann ihre große Leidenschaft, das Backen, sehr intensiv betrieben. Erst kam ein Nachbar, der gern wieder ein Brot wollte, dann wurden es immer mehr. Im Frühjahr 2019 waren es jedes Wochenende 40 Brote und vielleicht 200 Brötchen. Da haben wir gesagt: „Moment einmal, das ist eine Wohnküche, keine Backstube, das wird zu viel.“
Ich war damals noch in meinem Job als Berater für gemeinnützige Vereine tätig und habe sie nach Kräften unterstützt.
Wir haben dann einen günstigen Raum gemietet, die ehemalige Schulküche in unserem Dorf. 100 Leute wohnen hier im Ort, einen Bäcker oder so gab es hier vorher nicht. Mit einem Kredit haben wir einen Backofen mit 2 Quadratmetern Backfläche gekauft. Der war für den Anfang eigentlich viel zu groß.
Zwei Tonnen Mehl pro Monat
Inzwischen verbacken wir jeden Monat zwei Tonnen Mehl, arbeiten beide im Betrieb und haben zwei Teilzeit-Angestellte. Die Ofen-Backfläche sind jetzt 10 Quadratmeter; den Raum mussten wir auch wechseln, der wurde irgendwann zu klein.
Wir haben nur Dienstags, Freitags und Samstags für vier bzw. drei Stunden geöffnet. In den Zeiten sind immer über 100 Leute hier, die kommen aus den umliegenden Dörfern, zum Teil auch aus Dresden, Meißen oder Freiberg.
Es hat sich einfach rumgesprochen, dass wir hier mit ganz viel Liebe und Leidenschaft arbeiten.
Herzensbäckerei? Am Anfang waren alle skeptisch!
Als Anja anfing, waren alle ganz skeptisch, ob sie denn jemals davon leben könnte und wie das gehen soll. Aber schon im ersten Monat hatte sie ihr erstes Ziel erreicht, dass sie ihren Lebensunterhalt von der Bäckerei bestreiten kann.
Sie hatte vorher bei der Handwerkskammer die Prüfung in der Bäckerakademie absolviert – wir sind ja beide fachfremd. Und sie hat von Anfang an Wert darauf gelegt, gerade beim Brot nur ganz traditionell mit den Zutaten Wasser, Salz und Mehl zu arbeiten und auf weitere Zusatzstoffe zu verzichten.
Wir nehmen uns sehr viel Zeit für alles: für unsere Backwaren genauso wie für die Kundschaft. Auch Extrawünsche sind machbar: Neulich kam jemand mit ganz viel Basilikum aus seinem Garten, da gab es dann eine kurze Zeit Basilikum-Wallnuss-Brot.
Ich bin dann durch die Homeoffice-Zeit während Corona immer weiter reingewachsen. Ich war zum Homeoffice verdonnert und hatte nicht viel zu tun. Also habe ich immer mehr geholfen.
Als es im Mai dann hieß, es geht langsam wieder zurück ins Büro, haben wir uns angeschaut: Dann hätte Anja jemanden einstellen müssen, der ihr hilft. Da habe ich dann meinen Job gekündigt und bin hier voll eingestiegen.
Ich würde das immer wieder so machen!
Wir sind eine Patchwork-Familie und haben zusammen sieben Kinder. Ihre sind schon groß, meine Jüngste ist 13. Die finden das alles ganz großartig.
Ich denken, Frauen sind mutiger bei solchen Entscheidungen – zumindest meine (lacht). Und ja, ich würde das immer wieder so machen! Ja, man kann das machen, was einem Spaß macht, und davon leben. Man muss nur einfach loslegen und daran glauben, dass es geht!
Link: herzensbaeckerei.de
Protokoll: Peter Stawowy
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