Wie ticken Männer im mittleren Alter? Wie blicken sie auf ihr bisheriges Leben und was würde ihr junges Ich über sie heute sagen? In unserer Köpfe-Rubrik protokollieren wir Momentaufnahmen.
Ich habe im Mai vergangenen Jahres meine Karriere bei adidas beendet – nach fast 20 Jahren im Konzern. Ich war dort Führungskraft in verschiedenen Positionen, zuletzt Senior Vice President für Marktstrategie und Business Development in Europa.
Heute arbeite ich bei einem Start-up, genauer: Scale-up, im Energiesektor – als Personalchef und Verantwortlicher für die Nachhaltigkeit.
Und ich kann sagen: Ich arbeite ganz konkret an der Energiewende mit!
Hohes Level bei Dax-Unternehmen
Es war keine einfache Entscheidung, so einen coolen Job loszulassen. Auf einem hohen Level bei einem Dax-Unternehmen!
Aber ich bin jetzt so im Reinen mit mir, so klar darüber, was mir Sinn gibt, dass ich weiß: Das war die richtige Entscheidung.
Die Entscheidung ist im Laufe der Jahre gewachsen. So 2012/13 habe ich mich mit Minimalismus beschäftigt.
Mein Traum war, irgendwann mal um die Welt zu reisen, mit nur ein oder zwei Koffern, und daraus zu leben. Dann habe ich angefangen meinen Kram zu reduzieren, ganz viel wegzugeben.
Die Firma hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Ich wollte immer in den Sport. adidas ist noch immer eine coole Marke, ich hatte tolle Kollegen und bin sehr dankbar für diese Zeit. Aber es wurde immer weniger Sport und immer mehr Mode.
Das war für mich immer mehr ein unangenehmes Gefühl: Mehr Turnschuhe zu verkaufen, das macht die Welt nicht besser! Ich musste irgendwas damit machen.
Erstmals seit 20 Jahren andere Prioritäten
Zuerst habe ich gedacht, ich kann das innerhalb von adidas schaffen. Ich habe dann viele Projekte pilotiert, auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen: der Verkauf gebrauchter Produkte, Produkte im Verleih…
Aber sobald du im Aktienmarkt bist, wollen die Aktionäre mehr Wachstum…
Ich habe dann im Sommer 2020 ein dreimonatiges Sabbatical genommen, trotz Corona-Zeit und großer Aufregung in der Firma. Dort hieß es: „All hands on deck!“, also dass alle Führungskräfte da sein sollten.
Das erste Mal seit 20 Jahren habe ich die Prioritäten anders gesetzt – es fühlte sich richtig an.
„Was bereut man am Lebensende?“
Ich hatte dann drei Monate Zeit, über das Leben zu reflektieren: Was will ich eigentlich, wo soll das hingehen?
Ich habe viel mit meiner Frau darüber gesprochen: Was ist für uns wichtig? Was bereut man am Lebensende? Da ist irgendwie nie dabei, „wäre schön gewesen der Typ hätte es zum Vorstand gebracht …“ Das bereut ja niemand am Grab!
Für diese Gespräche und ihre Unterstützung bin ich heute sehr dankbar.
Fünf Tage Schweigekloster
Eine Station während des Sabbaticals war ein Schweigekloster. Ich hatte vorher nie meditiert und bin dann für fünf Tage da reingegangen. Das war richtig hardcore – ich kann das nur empfehlen.
Über 19 Jahre lang hatte ich nicht so viel Ruhe am Stück. Dass ich mal loslassen konnte, die Gedanken frei hatte, das war unglaublich.
Dann kam für mich passend, dass ich im Job wieder mal eine Reorganisation auf den Tisch bekommen habe: Mehrere Märkte zusammenbringen, neue Management- und Länderstrukturen schaffen.
Da habe ich dann bewusst meinen eigenen Job abgeschafft.
Weniger Ego
Existenzängste hatte ich keine. Das ist ein privilegiertes Leben nach so vielen Jahren im Konzern.
Auf dem Level, auf dem ich war, war das erstmal nicht besonders mutig, abzuspringen. Man muss aber Ego abgeben, das war schon schwerer.
Das braucht persönlichen Mut, weil an so einen Job viel Identität geknüpft ist. Jeder kennt dich, du bist wichtig… Aber ich habe mich zum Glück nie über Statussymbole identifiziert.
Das entscheidende Jahrzehnt
Ich musste dann erstmal rausfinden, wo die Reise nun hingehen soll. Das war gar nicht so einfach – ich war mein Berufsleben lang in einem Konzern. Konsequent wäre gewesen, in der Industrie zu bleiben.
Aber ich bin komplett rausgegangen und habe in Cambridge einen dreimonatigen Kurs absolviert, um mich neu aufzustellen. Was weiß ich, was kann ich? Es ging so richtig an die Essenz.
Irgendwann in der Zeit ist auch die Idee für meinen Blog entstanden: „Das entscheidende Jahrzehnt“.
Dort schreibe ich über die Klimakrise. Ich will damit aufklären, Denkanstöße und Argumente liefern.
Von einer WhatsApp-Gruppe zum Projekt
Ursprünglich war das Projekt eine WhatsApp-Gruppe. Meine Schwiegermutter hatte irgendwann gesagt: Du sprichst da so oft drüber und weißt so viel. Kannst du das nicht mal aufschreiben? Ich würde das gern meinen Freundinnen zeigen!
Da habe ich dann eine WhatsApp-Gruppe gegründet. Nach kurzer Zeit haben erst 20, später 50 Leute mitgelesen.
Da kommt so viel zurück! Es ist mein kreatives Ventil, das gibt mir sehr viel Energie.
Berufliches Ziel: Klimaschutz
Ich habe dann geschaut, wo kann ich beruflich wirklich zum Klimaschutz beitragen? Da bist du sehr schnell im Energiebereich, Erneuerbare Energien, Wärmepumpen.
Ich habe mich dann nach kurzer Zeit in der StartUp-Szene wiedergefunden. In Berlin gibt es da ein großes Ökosystem von disruptiven Firmen im Energiesektor.
Da brauchen einige professionelles Management. Das, was ich mein Leben lang gemacht habe.
Irgendwann kam ein befreundeter Gründer und sagte, ich suche gerade jemanden… Seitdem pendle ich zwischen Nürnberg und Berlin.
Bei thermondo verkaufen, finanzieren und installieren wir Wärmepumpen. Die können mit grünem Strom klimaneutral Häuser heizen. Wir haben inzwischen 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sind Deutschlands größter Heizungsinstallateur.
Im Juni haben wir mit der Wärmepumpe angefangen und seitdem über 500 Stück verbaut. Nächstes Jahr werden wir hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Wir suchen ständig Leute!
Meine Aufgabe ist, das so strukturiert aufzusetzen, dass die Firma das auch alles schafft.
Es gibt viele Wechselwillige
Ich kenne wirklich eine ganze Reihe Leute, die auch gern aus der Konzernkarriere raus und in eine grüne Karriere wechseln wollen.
Das ist aber gar nicht so einfach, wie ich immer wieder höre.
Wenn jemand überlegt und zweifelt: Du musst ja nicht gleich kündigen!
Endlich Klarheit
Ich habe mich am Anfang erst in einer NGO engagiert und kleine Start-ups beraten. Da helfe ich jungen Gründerinnen und Gründern, wie sie sich aufstellen und mit Firmen zusammenarbeiten können. Man kann auch erst einmal mit so etwas anfangen.
Und schauen, was macht mir Freude, gibt mir Sinn, bringt mich selbst auch weiter.
Ich bin jetzt in meinem Leben an einem Punkt, wo ich Klarheit habe. Ich bin froh, diese Zufriedenheit zu haben. Es ist nicht gesund, dieses immer mehr, mehr, mehr. Und ich weiß: Hey, ich kenne tolle Menschen und ich kann einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende leisten! Dafür bin ich sehr dankbar.
Protokoll: Peter Stawowy
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