Sein Job langweilt ihn, mit seiner Frau läuft nichts mehr, seine Tochter im Teenager-Alter verachtet ihn. Wer an Midlife-Crisis denkt, hat vielleicht Männer wie Lester Burnham (gespielt von Kevin Spacey) im Kultfilm American Beauty vor Augen. Burnham schmeißt seinen Job hin und sucht sein Heil in der Fantasie einer Affäre mit der attraktiven Mitschülerin seiner Tochter. Midlife-Crisis wie auf dem Reißbrett.
Ein Mittvierziger, den alles anödet, bis er sich von sich aus verändern möchte, sich einen Sportwagen kauft und vielleicht nochmal den Motorradführerschein nachmacht.
Wie nah ist das eigentlich an der Realität?
Unzufriedenheit zwischen 40 und 50
Tatsächlich gibt es keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Menschen etwa in der Lebensmitte „Symptome“ der Midlife-Crisis verspüren. Allerdings konnten Dawid Gondek, Bettina Moltrecht und George B. Ploubidis in ihrer 2021 veröffentlichten Studie „Midlife Mental Health Crisis“ nachweisen, dass psychologische Beeinträchtigungen von Probanden etwa im Alter von 45 bis 55 verstärkt nachweisbar waren.
Sie maßen psychologische Probleme, gesundheitliche Beeinträchtigungen und sogar erhöhte Selbstmordraten in dieser Altersgruppe. David Blanchflower und Andrew Oswald wiesen 2010 in einer Langzeitstudie sogar nach, dass Midlife-Crisis ein globales Problem ist und das Risiko für Depressionen und Unzufriedenheit niemals so hoch waren wie im Alter zwischen 40 und 50. Die Forscher unterschieden dabei übrigens jeweils nicht zwischen Männern und Frauen.
Der Anstoß kam von außen
Wie sieht es denn subjektiv aus? Nun, die kleinen Herausforderungen des Alltags kennt jeder. Auch persönlich hinkt der Vergleich zwischen Lester Burnham und mir – Mitte 40, nicht verheiratet, keine Kinder. Aber die Frage kommt natürlich regelmäßig auf: Warum eigentlich nicht verheiratet und keine Kinder? Wäre eine mich verachtende Teenage-Tochter nicht doch eine schöne Herausforderung? 😉
Jeder Job ödet einen manchmal an, aber im Grunde konnte ich mit meinem gut leben. Bis ich es auf einmal nicht mehr konnte.
Aber der Anstoß kam nicht von innen, sondern von außen. Vor zwanzig Jahren habe ich mal studiert, um Online-Redakteur zu werden und das Web mit tollen Texten zu fluten. Nur dass das vor einiger Zeit auf einmal immer weniger gefragt schien. Meine Auftraggeber sprechen plötzlich von Leads, KPIs, TKPs, CTRs und noch einer Menge dreibuchstabiger Abkürzungen mehr. Wie gut ein Text geschrieben ist? Eigentlich nebensächlich, solange nur genug Keywords darin zu finden sind.
Vom Loft in Bali aus…
Zeitgleich schickt mir Instagram junge, gutaussehende Unternehmer in die Timeline, die von ihrem Loft auf Bali berichteten und wie sie mit dem Internet reich geworden sind. Natürlich könne ich das auch. Ich müsse nur ihr neuestes Webinar buchen, das…
Die Botschaft ist klar: Du musst dich verändern! Zumindest, wenn du in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren noch Geld verdienen willst. Und das musst du ja. Hier wird mir plötzlich klar, was ich all die Jahre nicht begriffen hatte: Ob ich mit 65 oder gar 70 noch arbeite, hängt nicht nur von meiner Gesundheit ab und ob ich meine Schäfchen bis dahin finanziell schon ins Trockene gebracht habe. Es hängt vor allem davon ab, ob meine Skills für den Arbeitsmarkt dann überhaupt noch gefragt sind.
Oder zumindest so gefragt, dass ich viel jüngeren, viel billigeren Arbeitskräften noch vorgezogen werde, die mit dem modernsten Wissen frisch von der Uni kommen?
War der Job ein Fehler?
Und die Frage geistert dann schon durch den Kopf: Habe ich mich damals für das Richtige entschieden? Wie wäre es, heute noch einmal jung zu sein und diese Entscheidung neu zu treffen?
Und weil du dann eh dabei bist, stellen sich dir natürlich auch andere Fragen: Mache ich eigentlich auch in der Freizeit das, was mir Spaß macht? Braucht meine Partnerschaft – wenn ich überhaupt eine habe – nicht irgendwie mal neue Impulse? Ob die Lösung ist, mit einer viel jüngeren Frau durchzubrennen, wage ich übrigens zu bezweifeln. Aber auch die Erfahrung hat der eine oder andere erst machen müssen.
Die Krise als Chance
Um im Gegenzug einmal das Positive der Midlife-Crisis zu beleuchten: Sie bietet viele Chancen. Natürlich ist der Zwang da, mich neu zu erfinden. Das bedeutet aber auch, dass ich mich um die Fragen, wer ich eigentlich bin, was ich eigentlich kann und wohin ich eigentlich möchte, nicht mehr herumdrücken kann.
Ich lerne mich selbst besser kennen als jemals zuvor in meinem Leben. Ich kann immer noch Neues lernen, vielleicht sogar noch einmal studieren. Und ich stelle vielleicht fest, dass ich besser bin, als ich all die Jahre dachte, und die Herausforderung ruhig annehmen kann, mich auf einen höheren Posten zu bewerben.
Die Sache ist eben nur die: All das sucht man sich normalerweise nicht aus. Ich hätte auch gut mit dem sicheren Job in seiner Art weitermachen können. Man ließ mich nur nicht. Die Midlife-Crisis wurde von außen angestoßen.
Es wird wieder besser
Genau genommen ist das auch bei Lester Burnham aus American Beauty so. Seine Arbeit ist zwar langweilig, aber das ist nicht das eigentliche Problem. Er wird vom Arbeitgeber plötzlich vor die Wahl gestellt: Er soll nachweisen, dass er produktiv arbeitet, weil das Management Personal einsparen möchte. Womöglich ihn. Ist er bereit, seine Selbstachtung dafür aufzugeben, um seinen schalen Job zu behalten?
Die Wissenschaftler Blanchflower und Oswald geben am Ende übrigens Entwarnung: Nach der Midlife-Crisis steigt die allgemeine Zufriedenheit wieder. Hat man die Krise konstruktiv aufgearbeitet, weiß man, was einem im Leben wichtig ist. Und stellt die richtigen Weichen für die zweite Lebenshälfte. Menschen mit 70 seien dann wieder so zufrieden wie mit 20. Man muss nur bis dahin durchhalten.
Aber jetzt, also dem gefühlten Ende meiner Midlife-Crisis, würde ich sagen: Werde ich hinkriegen. Vielleicht wäre es sogar schwieriger geworden, wenn ich keine Krise gehabt hätte.
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